Minoischer Friedhof Chryssolakos – Malia
1. Lage und Bedeutung
Name und Ort: „Chryssolakos“ bedeutet auf Griechisch wörtlich „Grube des Goldes“. Dies ist ein sprechender Name, der sich auf die spektakulären Funde bezieht, die dort gemacht wurden. Der Friedhof liegt nur wenige hundert Meter nördöstlich des berühmten minoischen Palastes von Malia.
Zeitstellung: Der Friedhof wurde hauptsächlich in der Frühminoischen Zeit (FM I – FM II, ca. 2600 – 2200 v. Chr.) genutzt, also vor der Errichtung der großen minoischen Paläste. Er gibt uns daher Einblick in die Gesellschaft, die den Palast von Malia erst möglich machte.
Bedeutung: Chryssolakos ist einer der wichtigsten und reichhaltigsten Friedhöfe aus dieser frühen Phase der minoischen Zivilisation. Die Funde deuten auf eine bereits hoch entwickelte und wohlhabende Gesellschaft mit weitreichenden Handelskontakten hin.
2. Art der Grabanlagen
Im Gegensatz zu den späteren, bekannten Tholos-Gräbern in Süd-Kreta (wie in Phourni bei Archanes) bestand der Friedhof von Chryssolakos aus Hausgräbern.
Was sind Hausgräber? Dabei handelte es sich um rechteckige Gebäude, die in ihrem Grundriss zeitgenössischen Wohnhäusern ähnelten. Sie waren jedoch als kollektive Bestattungsstätten konzipiert.
Aufbau und Nutzung: In diesen Gebäuden wurden die Verstorbenen über mehrere Generationen hinweg beigesetzt. Nachdem der Körper verwest war, wurden die Knochen beiseitegeräumt, um Platz für neue Bestattungen zu schaffen. Diese Praxis der Sekundärbestattung war in der Ägäis weit verbreitet. Die Gebäude hatten oft mehrere Räume und möglicherweise eine kultische Funktion für Totenriten.
3. Die spektakulären Funde (Das „Schatzhaus von Malia“)
Die wahre Berühmtheit erlangte Chryssolakos durch die außergewöhnlichen Grabbeigaben, die hier entdeckt wurden. Die bedeutendsten Stücke werden heute im Archäologischen Museum in Iraklio aufbewahrt und sind absolute Highlights der minoischen Sammlung.
Die wichtigsten Funde sind:
Die Bienen-Anhänger (oder Wespen-Anhänger), gr. Χρυσό κόσμημα των μελισσών: Dies ist ohne Zweifel der berühmteste Fund. Es handelt sich um eine wundervolle goldene Halskette mit zwei sich gegenüberstehenden Insekten, die einen Honigtropfen oder eine Perle in einer Wabe halten. Dieses Meisterwerk minoischer Goldschmiedekunst zeigt ein erstaunliches Gespür für Naturbeobachtung und Feinheit.
Weitere Goldschmiedearbeiten: Es wurden zahlreiche andere Goldobjekte gefunden, darunter Diademe, Ohrringe, Halsringe und Perlen. Die Qualität und Menge des Goldes bezeugen den Reichtum der hier bestatteten Elite.
Steinsiegel: Hunderte von Siegeln aus Halbedelsteinen (wie Achat, Amethyst, Karneol) und Elfenbein wurden entdeckt. Diese Siegel waren persönliche Besitztümer und dienten zur Kennzeichnung von Eigentum. Ihre Motive (Tiere, geometrische Muster) sind von hoher künstlerischer Qualität.
Waffen und Werkzeuge: Auch Gegenstände aus Bronze, wie Dolche und Äxte, wurden als Beigaben gefunden.
Keramik: Typische frühminoische Vasen, darunter die charakteristischen „Kernoi“ (Rituelle Ringgefäße) und fein polierte Ware.
4. Was die Funde aussagen
Die reichen Grabbeigaben von Chryssolakos lassen mehrere Rückschlüsse zu:
- Soziale Hierarchie: Die Menge an Gold und wertvollen Gütern in einigen Gräbern deutet auf eine stark stratifizierte Gesellschaft mit einer wohlhabenden Oberschicht hin. Diese Elite kontrollierte wahrscheinlich den Handel und die Ressourcen.
- Handelskontakte: Das Vorkommen von Materialien wie Gold, Elfenbein und Halbedelsteinen, die auf Kreta nicht natürlich vorkommen, belegt frühe Handelsverbindungen mit dem griechischen Festland, den Kykladen, Ägypten und dem Nahen Osten.
- Handwerkliche Meisterschaft: Die Feinheit der Goldarbeiten und Siegelsteine zeigt, dass es bereits vor der Palastzeit hochspezialisierte und talentierte Handwerker gab.
Zusammenfassung:
Der Friedhof von Chryssolakos ist daher viel mehr als nur eine Begräbnisstätte. Er ist ein Schlüsselzeugnis für die Entstehung der minoischen Hochkultur. Er zeigt, dass die Grundlagen für den Reichtum und die Komplexität der Palastzeit bereits Jahrhunderte zuvor in einer dynamischen und wohlhabenden frühminoischen Gesellschaft gelegt wurden. Ein Besuch des Palastes von Malia wird durch die Kenntnis dieses Friedhofs und seiner Schätze, die im Archäologichen Museum Heraklion bewundert werden können, erheblich bereichert.
Bilder: Ceyda H., Text: Christoph Helfrich






















